Nicht ohne meine Eltern
Der Pro Juventute-Fachtag 2025
"Unserer diesjähriger Fachtag stellt die Zusammenarbeit mit den Eltern in den Mittelpunkt", so die Leiterin der Pro Juventute-Akademie Martina Voglreiter. "Diesem zentralen Thema in der Sozialpädagogik widmen wir uns aus unterschiedlichen Perspektiven: Mit Menschen aus der Praxis, mit Eltern von betreuten Kindern und natürlich auch mit dem Blick aus der Wissenschaft."
"Unser Ziel ist, dass wir Kinder stärken", betont Pro Juventute-Geschäftsführerin Andrea Scharinger. "Wenn das gemeinsam mit den Eltern gelingt, fällt es auch ihren Kindern umso leichter, sich auf die Begleitung durch sozialpädagogische Fachkräfte einzulassen." Daher hat Pro Juventute in Oberösterreich und in der Stadt Salzburg eigene Angebote für die Elternbegleitung. "Sowohl in unserer mobilen Arbeit wie auch in den Wohnangeboten arbeiten wir bestmöglich mit den Menschen im Familiensystem zusammen."
In seinem Vortrag widmete sich Prof. Dr. Mathias Schwabe von der Evangelischen Hochschule Berlin zentralen Fragen aus seiner langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Eltern:
- Wie können Eltern erfolgreich in den Hilfeprozess eingebunden werden?
- Welche Erfolge wurden in der Zusammenarbeit mit Eltern erzielt?
- Vor welchen Hürden und Hindernissen steht man dabei und wie können diese überwunden werden?
- Und welche Höhepunkte und positiven Wendepunkte gab es in der Arbeit mit Eltern?
"Ziel ist es, Eltern zu aktivieren und ihnen zu ermöglichen, die Probleme ihres Kindes eigenständig anzugehen", beschrieb der Fachexperte. Mit dem SIT-Modell – der systemischen Interaktionstherapie – werden Eltern aktiv in den Hilfeprozess eingebunden.
Dr.in Isabella Sarto-Jackson präsentierte in ihrem Vortrag neurowissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich prosozialem Bindungsverhalten. "Die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ist wesentlich für eine gelingende Entwicklung", so die Neurobiologin.
"Feinfühliges Elternverhalten puffert Stressreaktionen ab und forciert die Bindungsfähigkeit. Bei negativen Erfahrungen birgt Neuroplastizität aber ein erhöhtes Vulnerabilitätsrisiko", verwies Sarto-Jackson etwa auf Beziehungsbrüche, Traumata oder Vernachlässigung. "Solche Erfahrungen können nicht nur zu anatomisch-funktionellen Veränderungen im kindlichen Gehirn führen, sondern sich auch langfristig, epigenetisch manifestieren."
Elternarbeit im Fokus
Pro Juventute stellte gemeinsam mit der Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Salzburg, Mag.a Adelheid Moser, verschiedenen Modelle der Elternarbeit vor. Dabei gaben Andrea Scharinger sowie Tatjana Stevic und Patrick Peböck von der Pro Juventute-Elternbegleitung gemeinsam mit den Regionsleiterinnen Maria Niedermoser und Alisa Ramic Einblicke in die Zusammenarbeit mit Eltern, deren Kinder in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften untergebracht sind. Auch die Arbeit der Elternbegleitfachkräfte und die Unterstützung von Eltern in der mobilen Betreuung werden näher beleuchtet.
Video zum Pro Juventute-Fachtag 2025
In Video-Interviews berichten Eltern von ihren Erfahrungen: Was hat ihnen in der Betreuung geholfen und was nicht? Ein Zusammenschnitt, der wertvolle Perspektiven bietet.
Themenimpulse zur Elternarbeit
Am Nachmittag wurde in kleineren Gruppen zu vertiefenden Themenimpulsen gearbeitet.
Verborgene Wunden: Elternarbeit traumasensibel gestalten
Im Workshop mit Susanne Ullrich ging es darum, wie Elternarbeit traumasensibel gestaltet werden kann, um die Sorgen der Eltern ernst zu nehmen, das Kindeswohl zu schützen und eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung aufzubauen. Anhand von Fallbeispielen wurden Handlungsoptionen und Interventionsmöglichkeiten besprochen, die die Dynamik im System entschärfen und die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachkraft fördern.
Arbeiten im Zwangskontext: Widerstand und Unfreiwilligkeit als Chance
In der Fokusgruppe mit Hermann Schügerl erhielten die Teilnehmer*innen Impulse, die sie in ihrer Arbeit im Zwangskontext unterstützen und ihnen helfen, mit den vielfältigen Herausforderungen erfolgreich umzugehen. Denn Fachkräfte befinden sich häufig in einem komplexen Spannungsfeld zwischen der Erwartung, dass Klient*innen sich verändern sollen, und deren Widerstand, diese Veränderung zu wollen.
Um in dieser herausfordernden Situation professionell handeln zu können, ist es wichtig, dass Fachkräfte Klarheit über ihre eigene Rolle, den Betreuungsauftrag und die Ziele des Prozesses haben. Ebenso ist ein passendes Setting sowie ein effektives Beziehungsmanagement entscheidend, um eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zu ermöglichen.
Gespräche gelingend gestalten: Wie Bündnisrhetorik die Zusammenarbeit fördern kann
Karoline Amon-Dreer betonte in ihrem Themenimpuls, dass gelungene Zusammenarbeit auf Beziehungen und gegenseitigem Vertrauen aufbaut: das Verbindende vor das Trennende zu stellen ist Bemühung jeder pädagogischen Arbeit. In dieser Fokusgruppe wurde spürbar, was eine Bündnisrhetorik trotz schwieriger Ausgangslagen und verhärteter Fronten ermöglichen könnte.
Elternaktivierung: Konzept und Evaluation der systemischen Interaktionstherapie
In dieser Fokusgruppe stellte Mathias Schwabe das SIT-Modell vor. Die Teilnehmer*innen erlebten dabei praxisnahe Ansätze zur Überwindung von Hürden und zur Förderung nachhaltiger Veränderungen.
Die Systemische Interaktionstherapie und -beratung in den Erziehungshilfen
Theorie und Praxis eines elternaktivierenden Ansatzes
Matthias Schwabe beschreibt gemeinsam mit anderen Fachexpert*innen wie mit dem SIT-Ansatz Belastungen im Familienalltag reduziert und Ressourcen der Alltagsbewältigung erschlossen werden können.
260 Seiten, erschienen 2020 im Beltz-Verlag
